Wie in der Ukraine ein Berufsverband für Soziale Arbeit entsteht
Gabriele Stark-Angermeier ist als Vertreterin des Deutschen Berufsverbands für Soziale Arbeit (DBSH) in die Ukraine gereist, um Impulse zu sammeln und zu geben: Was kann Soziale Arbeit in Kriegs- und Krisensituationen leisten? Manch eine (mediale) Gegenreaktion auf Putins Angriff wirkt auf Menschen aus sicheren westlichen Ländern fremd und irritierend – dient aber einer Kultur der Selbstermächtigung. Der internationale Austausch hilft, solche Mechanismen zu erkennen.
Gabriele, Anfang September bist du in die Ukraine gereist. Wie kam es dazu?
Gabriele Stark-Angermeier: Meine Sozialarbeiterkollegin Ana Radulescu ist Professorin in Rumänien und Präsidentin der International Federation of Social Workers (IFSW) für die Region Europa. Sie hat schon zu Beginn des Ukraine-Kriegs an der rumänisch-ukrainischen Grenze ein Netzwerk für Soziale Arbeit aufgebaut. Von hier aus berichtete Ana über die Fluchtsituation und darüber, was notwendig war, um die Hilfsorganisationen und die Polizei an den Grenzübergängen zu unterstützen. Diese Berichte waren der Auslöser für verschiedene IFSW-Mitglieder, vor Ort in der Ukraine ins Gespräch zu kommen.
Soziale Arbeit wird künftig immer mehr ein Partner in der Rekonstruktion nach Krisen und Zerstörung sein. Es geht uns darum, von dem Know-how zu lernen, es in andere Regionen zu übertragen und uns auch als Profession weiterzuentwickeln.
Wie arbeiten Sozialarbeiter*innen an den ukrainischen Grenzen mit Militär, Polizei und Katastrophenschutz zusammen?
Gabriele Stark-Angermeier: Ana Radulescu hatte schon vor rund zwei Jahren das rumänische Militär bei NATO-Übungen im Beraterstab begleitet und Methoden eingebracht, wie man im Fall einer Krise mit Zivilbevölkerung umgeht. Diese Zusammenarbeit hat sie zu Beginn des Ukraine-Kriegs sehr schnell in die erste Reihe gebracht, um Koordinationsaufgaben zu übernehmen oder zu flankieren. So hat der rumänische Katastrophenschutz eng mit dem rumänischen Berufsverband kooperiert, um Soziale Arbeit im Grenzgebiet zu organisieren. An den nördlicheren Grenzübergängen der Ukraine haben sich auch polnische Sozialarbeiter*innen organisiert, dort geschieht das in Zusammenarbeit mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen.
Was hast du an der ukrainischen Grenze gesehen?
Gabriele Stark-Angermeier: Wir haben zuerst Siret besucht, das ist ein zentraler Grenzübergang zwischen Ukraine und Rumänien. Hier hörten wir Berichte darüber, wie der Transport von Hilfsgütern und die Fluchtroute über den Balkan und Österreich sowie zu uns nach Bayern organisiert wurde. Sozialarbeiter*innen haben Hilfszelte aufgebaut, um die Ukrainer*innen zu empfangen und versorgen. Darunter waren überwiegend Frauen mit Kindern. Es galt, Fragen zu klären: Wo können sie hinreisen? Was brauchen sie? Wie schützt man diese Frauen vor Zuhälterei und anderen Geschäften, während an den Grenzübergängen bereits Menschenhändler bereit stehen?
Aus dieser Anfangssituation des Krieges entstand in Siret ein fester Stützpunkt mit Sozialarbeiter*innen und Dolmetscher*innen, die rund um die Uhr solche Fragen und Formalitäten klären. Fördermittel stellte erst der rumänische Staat zur Verfügung, später auch die EU, trotzdem wird hier sehr viel auch ehrenamtlich geleistet. Unterwegs zu dem Grenzübergang sahen wir auf der rumänischen Seite Container stehen, die teils schon wieder geschlossen waren. Viele humanitäre Hilfsorganisationen hatten sich zu Beginn des Krieges hier positioniert, aber völlig unkoordiniert. Die Sozialarbeiter*innen haben mit freiwilligen Helfer*innen Struktur hereingebracht.
Gabriele, Anfang September bist du in die Ukraine gereist. Wie kam es dazu?
Gabriele Stark-Angermeier: Meine Sozialarbeiterkollegin Ana Radulescu ist Professorin in Rumänien und Präsidentin der International Federation of Social Workers (IFSW) für die Region Europa. Sie hat schon zu Beginn des Ukraine-Kriegs an der rumänisch-ukrainischen Grenze ein Netzwerk für Soziale Arbeit aufgebaut. Von hier aus berichtete Ana über die Fluchtsituation und darüber, was notwendig war, um die Hilfsorganisationen und die Polizei an den Grenzübergängen zu unterstützen. Diese Berichte waren der Auslöser für verschiedene IFSW-Mitglieder, vor Ort in der Ukraine ins Gespräch zu kommen.
Soziale Arbeit wird künftig immer mehr ein Partner in der Rekonstruktion nach Krisen und Zerstörung sein. Es geht uns darum, von dem Know-how zu lernen, es in andere Regionen zu übertragen und uns auch als Profession weiterzuentwickeln.
Wie arbeiten Sozialarbeiter*innen an den ukrainischen Grenzen mit Militär, Polizei und Katastrophenschutz zusammen?
Gabriele Stark-Angermeier: Ana Radulescu hatte schon vor rund zwei Jahren das rumänische Militär bei NATO-Übungen im Beraterstab begleitet und Methoden eingebracht, wie man im Fall einer Krise mit Zivilbevölkerung umgeht. Diese Zusammenarbeit hat sie zu Beginn des Ukraine-Kriegs sehr schnell in die erste Reihe gebracht, um Koordinationsaufgaben zu übernehmen oder zu flankieren. So hat der rumänische Katastrophenschutz eng mit dem rumänischen Berufsverband kooperiert, um Soziale Arbeit im Grenzgebiet zu organisieren. An den nördlicheren Grenzübergängen der Ukraine haben sich auch polnische Sozialarbeiter*innen organisiert, dort geschieht das in Zusammenarbeit mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen.
Was hast du an der ukrainischen Grenze gesehen?
Gabriele Stark-Angermeier: Wir haben zuerst Siret besucht, das ist ein zentraler Grenzübergang zwischen Ukraine und Rumänien. Hier hörten wir Berichte darüber, wie der Transport von Hilfsgütern und die Fluchtroute über den Balkan und Österreich sowie zu uns nach Bayern organisiert wurde. Sozialarbeiter*innen haben Hilfszelte aufgebaut, um die Ukrainer*innen zu empfangen und versorgen. Darunter waren überwiegend Frauen mit Kindern. Es galt, Fragen zu klären: Wo können sie hinreisen? Was brauchen sie? Wie schützt man diese Frauen vor Zuhälterei und anderen Geschäften, während an den Grenzübergängen bereits Menschenhändler bereit stehen?
Aus dieser Anfangssituation des Krieges entstand in Siret ein fester Stützpunkt mit Sozialarbeiter*innen und Dolmetscher*innen, die rund um die Uhr solche Fragen und Formalitäten klären. Fördermittel stellte erst der rumänische Staat zur Verfügung, später auch die EU, trotzdem wird hier sehr viel auch ehrenamtlich geleistet. Unterwegs zu dem Grenzübergang sahen wir auf der rumänischen Seite Container stehen, die teils schon wieder geschlossen waren. Viele humanitäre Hilfsorganisationen hatten sich zu Beginn des Krieges hier positioniert, aber völlig unkoordiniert. Die Sozialarbeiter*innen haben mit freiwilligen Helfer*innen Struktur hereingebracht.
»Struktur schaffen, Menschen aktivieren, alle an einen Tisch bringen – das ist Aufgabe Sozialer Arbeit in Kriegs- und Krisengebieten«
Der Löwenanteil der geflüchteten Menschen in der Ukraine sind Binnenflüchtlinge an der Grenze zu Polen Rumanien und Moldawien. Wie helfen Sozialarbeiter*innen ihnen?
Gabriele Stark-Angermeier: Die wirtschaftliche Situation ist in der Ukraine zusammengebrochen. Es gibt eine Grundversorgung, aber auch eine irre Inflation. Das trifft die normale Bevölkerung ebenso wie die armen Bevölkerungsteile. Manche öffentlichen Gebäude sind intakt, andere sind längst zerfallen, das kenne ich schon bei einem früheren Ukrainebesuch. Ana Radulescu hat mit ihrem Team in der Region Kamianets-Podilskyi ein Sozialzentrum aufgebaut, das sich dem Know-how der Sozialen Arbeit bedient: Wie gelingt Community-Organizing in prekären Situationen? Wie entstehen stabile soziale Strukturen zwischen Krieg und Krise, mit geringen Ressourcen und mangelnder Infrastruktur? Wo gibt es Fördergelder? Welche Zivilgesellschaftsmerkmale braucht es, damit die Bevölkerung ihre Selbstbestimmung zurückerlangt oder auch beibehält?
Wie muss man sich dieses Sozialzentrum vorstellen?
Gabriele Stark-Angermeier: Der Hauptsitz ist die Verwaltungseinheit des Gouverneurs. Hier ist im Erdgeschoss ein Lager, wo humanitäre Organisationen, Firmen und Privatleute Hilfslieferungen und Spenden hinbringen: medizinisches Material, Lebensmittel, Kleidung, Sanitärbedarf. Die erste Aufgabe war es, zu sortieren: Was davon brauchen Soldat*innen, Familien mit kleinen Kindern, Senior*innen? Im ersten Stock hat der Gouverneur seine Verwaltungseinheit. Er und wenige seiner Mitarbeiter*innen gehören zu den letzten, die von der Regierung noch ein Gehalt bekommen. Deshalb versorgen sie momentan noch zwei weitere Regionen mit, in denen die Verwaltung vollständig zusammenbrach. Im zweiten Stockwerk machen Engagierte eine Sozialberatung: „Was kann ich tun, wenn mein Kind krank ist oder das Dach kaputt ist, und es niemand reparieren kann?“ Wichtig war, dort Regeln aufzustellen, damit die Verteilungsstruktur gerecht und nachvollziehbar ist. Sehr früh wurden Psycholog*innen und Therapeut*innen für ein geringen Gehalt angestellt, um Familien in diesen belastenden Situationen zu begleiten. Wenn die Unsicherheit des Kriegs ein Teil des Lebens ist, zerstört das Familien und das ganze Miteinander.
Im anderen Teil des Sozialzentrum sind Binnenflüchtlinge in großen Häuserblöcken untergebracht. Hier geht es darum, eine gewisse Aktivität zu entwickeln, also selbst etwas für die Sozialstruktur in dieser Stadt tun zu können – und eben nicht zu warten, bis der Krieg vorbeigeht. Denn wann das ist, ist völlig unklar. In Kooperation mit dem Roten Kreuz wurde zum Beispiel eine Art Waschsalon hergerichtet mit einem zentralen System für alle. Nebenan entsteht ein Sozialkaufhaus, wo Menschen sich mit Gutscheine ihre Ware selbst aussuchen, statt fertige Packages zu bekommen. Das Gebäude gehört der Universität.
Eine nette Anekdote war, dass ich es als Vertreterin der IFSW zu einem symbolischen Mietpreis von zwei Euro für die nächsten fünf Jahre gemietet habe. Und auch die katholische Kirche hat leerstehende Gebäude. Dort werden wir versuchen, mit kirchlichen Fördermöglichkeiten Rehabilations und Pflegebereiche für ältere Bürger:innen zu schaffen.
Der Löwenanteil der geflüchteten Menschen in der Ukraine sind Binnenflüchtlinge an der Grenze zu Polen Rumanien und Moldawien. Wie helfen Sozialarbeiter*innen ihnen?
Gabriele Stark-Angermeier: Die wirtschaftliche Situation ist in der Ukraine zusammengebrochen. Es gibt eine Grundversorgung, aber auch eine irre Inflation. Das trifft die normale Bevölkerung ebenso wie die armen Bevölkerungsteile. Manche öffentlichen Gebäude sind intakt, andere sind längst zerfallen, das kenne ich schon bei einem früheren Ukrainebesuch. Ana Radulescu hat mit ihrem Team in der Region Kamianets-Podilskyi ein Sozialzentrum aufgebaut, das sich dem Know-how der Sozialen Arbeit bedient: Wie gelingt Community-Organizing in prekären Situationen? Wie entstehen stabile soziale Strukturen zwischen Krieg und Krise, mit geringen Ressourcen und mangelnder Infrastruktur? Wo gibt es Fördergelder? Welche Zivilgesellschaftsmerkmale braucht es, damit die Bevölkerung ihre Selbstbestimmung zurückerlangt oder auch beibehält?
Wie muss man sich dieses Sozialzentrum vorstellen?
Gabriele Stark-Angermeier: Der Hauptsitz ist die Verwaltungseinheit des Gouverneurs. Hier ist im Erdgeschoss ein Lager, wo humanitäre Organisationen, Firmen und Privatleute Hilfslieferungen und Spenden hinbringen: medizinisches Material, Lebensmittel, Kleidung, Sanitärbedarf. Die erste Aufgabe war es, zu sortieren: Was davon brauchen Soldat*innen, Familien mit kleinen Kindern, Senior*innen? Im ersten Stock hat der Gouverneur seine Verwaltungseinheit. Er und wenige seiner Mitarbeiter*innen gehören zu den letzten, die von der Regierung noch ein Gehalt bekommen. Deshalb versorgen sie momentan noch zwei weitere Regionen mit, in denen die Verwaltung vollständig zusammenbrach. Im zweiten Stockwerk machen Engagierte eine Sozialberatung: „Was kann ich tun, wenn mein Kind krank ist oder das Dach kaputt ist, und es niemand reparieren kann?“ Wichtig war, dort Regeln aufzustellen, damit die Verteilungsstruktur gerecht und nachvollziehbar ist. Sehr früh wurden Psycholog*innen und Therapeut*innen für ein geringen Gehalt angestellt, um Familien in diesen belastenden Situationen zu begleiten. Wenn die Unsicherheit des Kriegs ein Teil des Lebens ist, zerstört das Familien und das ganze Miteinander.
Im anderen Teil des Sozialzentrum sind Binnenflüchtlinge in großen Häuserblöcken untergebracht. Hier geht es darum, eine gewisse Aktivität zu entwickeln, also selbst etwas für die Sozialstruktur in dieser Stadt tun zu können – und eben nicht zu warten, bis der Krieg vorbeigeht. Denn wann das ist, ist völlig unklar. In Kooperation mit dem Roten Kreuz wurde zum Beispiel eine Art Waschsalon hergerichtet mit einem zentralen System für alle. Nebenan entsteht ein Sozialkaufhaus, wo Menschen sich mit Gutscheine ihre Ware selbst aussuchen, statt fertige Packages zu bekommen. Das Gebäude gehört der Universität.
Eine nette Anekdote war, dass ich es als Vertreterin der IFSW zu einem symbolischen Mietpreis von zwei Euro für die nächsten fünf Jahre gemietet habe. Und auch die katholische Kirche hat leerstehende Gebäude. Dort werden wir versuchen, mit kirchlichen Fördermöglichkeiten Rehabilations und Pflegebereiche für ältere Bürger:innen zu schaffen.
»Indigenes Wissen – also Erfahrungswissen – ist ein fester Bestandteil der Sozialen Arbeit«
Wie lernt Sozialer Arbeit aus diesen Erfahrungen?
Gabriele Stark-Angermeier: Als Mitglied der Social Plattform konnte Ana Radulescu für den IFSW das Projekt der EU-Kommission in Brüssel vorstellen . Ein Ziel ist es, die Erfahrungen auf andere Länder zu übertragen, wie beispielsweise Afghanistan. Türkei. Das Spannende ist, mit wenig etwas herzurichten und dem Miteinander eine Struktur zu geben. In der Akutsituation einer Krise braucht es erst einmal humanitäre Hilfe, doch dann geht es sehr schnell um Selbst-Empowerment. Und das ist genau im Sinne der Definition Sozialer Arbeit: Die Menschen an einen runden Tisch und miteinander ins Gespräch zu bringen, zu hören, was die Bedürfnisse sind, daraus heraus die nächsten Handlungsschritte zu entwickeln und dabei die Ressourcen der Personen einzubeziehen – und auf den jeweiligen Kulturhintergrund Rücksicht zu nehmen.
Was meinst du damit?
Gabriele Stark-Angermeier: Als wir vor sechs Jahren die internationale Definition der Sozialen Arbeit ins Deutsche übersetzten, haben wir uns die Köpfe heiß diskutiert über den Satz »… dabei stützt sie sich auf Theorien der Sozialen Arbeit, der Human- und Sozialwissenschaften und auf indigenes Wissen.« Hier in der Ukraine ich sehr eindrücklich erlebt, was das bedeutet. Ich war schockiert und habe mit den Menschen vor Ort viel darüber diskutiert, wie der Krieg im Fernsehen dargestellt wird. Du sitzt im Hotel beim Frühstück und musst dir ansehen, wie ein Bombeneinschlag mit Propaganda-Musik verherrlicht, Helden gefeiert werden und dazwischen die neuesten Popsongs laufen. Für uns in einem Nichtkriegsland ist das absolut befremdlich und irritierend. Die Ukraine braucht diese Propaganda aber, weil keiner sonst den Krieg mitführen würde. Wenn wir solche Erfahrungen international mit anderen Kollegen zum Beispiel aus afrikanischen Ländern diskutieren, sagen die: „Entschuldigung, das ist ja bei uns normal.“
Wir lernen aktuell als Berufsverband, dass Soziale Arbeit nicht ein nur eine Nationale Frage istist, sondern ein internationaler Ansatz. Egal, wo wir weltweit hinkommen: Die Grundhaltung ist, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Neben Theorie und Praxis gehört Erfahrungswissen als Kompetenz dazu.
Was heißt das für den Berufsverband für Soziale Arbeit, der in der Ukraine entsteht?
Gabriele Stark-Angermeier: Soziale Arbeit ist immer eine Graswurzelbewegung. Es braucht Menschen, die politisch in die Verantwortung gehen und entsprechende Organisationsformen bilden können. Später kann das in demokratischen Systemen in eine Sozialgesetzgebung münden. Die Studiengänge in der Ukraine unterscheiden sich von dem, was wir uns hier unter Sozialer Arbeit vorstellen. Social Work ist dort aktuell aus dem angelsächsischen Kontext geprägt, weil unter anderem die Stiftung von Amerika und Partnerhochschulen die Aufbauarbeit unterstützen. Parallel braucht es aber auch immer wieder Menschen, die darauf hinweisen, dass es nicht nur Theoriekonstrukte und eine geisteswissenschaftliche Auseinandersetzung braucht, sondern auch den praktischen Teil für die Bevölkerung.
Bei einem ersten Austausch im August war die Präsidentin des italienischen Berufsverbands dabei, die viele sozialpädagogische Anteile einbrachte, und ein Kollege aus Österreich, der über Jahre hinweg in Bulgarien, Rumänien, Aserbaidschan, Georgien und Bosnien die Professionalisierung Sozialer Arbeit mitbegleitet hatte.
Das eigene Erlebte wird durch den IFSW größer, das ist wirklich ein weltweites Netz. Für die Ukraine diskutieren wir gerade, wie wir dieses Jahr nochmal mit einer Solidaritätsbekundung einfach auch ein Zeichen setzen können.
Wie lernt Sozialer Arbeit aus diesen Erfahrungen?
Gabriele Stark-Angermeier: Als Mitglied der Social Plattform konnte Ana Radulescu für den IFSW das Projekt der EU-Kommission in Brüssel vorstellen . Ein Ziel ist es, die Erfahrungen auf andere Länder zu übertragen, wie beispielsweise Afghanistan. Türkei. Das Spannende ist, mit wenig etwas herzurichten und dem Miteinander eine Struktur zu geben. In der Akutsituation einer Krise braucht es erst einmal humanitäre Hilfe, doch dann geht es sehr schnell um Selbst-Empowerment. Und das ist genau im Sinne der Definition Sozialer Arbeit: Die Menschen an einen runden Tisch und miteinander ins Gespräch zu bringen, zu hören, was die Bedürfnisse sind, daraus heraus die nächsten Handlungsschritte zu entwickeln und dabei die Ressourcen der Personen einzubeziehen – und auf den jeweiligen Kulturhintergrund Rücksicht zu nehmen.
Was meinst du damit?
Gabriele Stark-Angermeier: Als wir vor sechs Jahren die internationale Definition der Sozialen Arbeit ins Deutsche übersetzten, haben wir uns die Köpfe heiß diskutiert über den Satz »… dabei stützt sie sich auf Theorien der Sozialen Arbeit, der Human- und Sozialwissenschaften und auf indigenes Wissen.« Hier in der Ukraine ich sehr eindrücklich erlebt, was das bedeutet. Ich war schockiert und habe mit den Menschen vor Ort viel darüber diskutiert, wie der Krieg im Fernsehen dargestellt wird. Du sitzt im Hotel beim Frühstück und musst dir ansehen, wie ein Bombeneinschlag mit Propaganda-Musik verherrlicht, Helden gefeiert werden und dazwischen die neuesten Popsongs laufen. Für uns in einem Nichtkriegsland ist das absolut befremdlich und irritierend. Die Ukraine braucht diese Propaganda aber, weil keiner sonst den Krieg mitführen würde. Wenn wir solche Erfahrungen international mit anderen Kollegen zum Beispiel aus afrikanischen Ländern diskutieren, sagen die: „Entschuldigung, das ist ja bei uns normal.“
Wir lernen aktuell als Berufsverband, dass Soziale Arbeit nicht ein nur eine Nationale Frage istist, sondern ein internationaler Ansatz. Egal, wo wir weltweit hinkommen: Die Grundhaltung ist, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Neben Theorie und Praxis gehört Erfahrungswissen als Kompetenz dazu.
Was heißt das für den Berufsverband für Soziale Arbeit, der in der Ukraine entsteht?
Gabriele Stark-Angermeier: Soziale Arbeit ist immer eine Graswurzelbewegung. Es braucht Menschen, die politisch in die Verantwortung gehen und entsprechende Organisationsformen bilden können. Später kann das in demokratischen Systemen in eine Sozialgesetzgebung münden. Die Studiengänge in der Ukraine unterscheiden sich von dem, was wir uns hier unter Sozialer Arbeit vorstellen. Social Work ist dort aktuell aus dem angelsächsischen Kontext geprägt, weil unter anderem die Stiftung von Amerika und Partnerhochschulen die Aufbauarbeit unterstützen. Parallel braucht es aber auch immer wieder Menschen, die darauf hinweisen, dass es nicht nur Theoriekonstrukte und eine geisteswissenschaftliche Auseinandersetzung braucht, sondern auch den praktischen Teil für die Bevölkerung.
Bei einem ersten Austausch im August war die Präsidentin des italienischen Berufsverbands dabei, die viele sozialpädagogische Anteile einbrachte, und ein Kollege aus Österreich, der über Jahre hinweg in Bulgarien, Rumänien, Aserbaidschan, Georgien und Bosnien die Professionalisierung Sozialer Arbeit mitbegleitet hatte.
Das eigene Erlebte wird durch den IFSW größer, das ist wirklich ein weltweites Netz. Für die Ukraine diskutieren wir gerade, wie wir dieses Jahr nochmal mit einer Solidaritätsbekundung einfach auch ein Zeichen setzen können.
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